Weihnachten mit Udo

Udo war ein kleines, hilfloses Lämmchen, als er bei Marion ein neues Zuhause fand. Seine Mutter war nicht mehr auffindbar, doch Marion scheute keine Mühe, ihn mit der Flasche aufzupäppeln. Mit Erfolg!

Udo liebte seine neue Mama und ihre Tochter Ronja mit Inbrunst. Er konnte es kaum ertragen, nicht in ihrer Nähe zu sein und allmählich war es im Ort ein gewohntes Bild, dass er den beiden folgte wie ein Hündchen. Allerdings wuchs er heran zu einem stolzen Schafbock und wurde zu groß, um weiterhin bei ihnen zu wohnen. Es kam der Tag, an dem er umziehen musste auf eine Weide mit anderen Schafen. Aber Marion kam jeden Tag vorbei und so gewöhnte er sich an die neue Situation. Manchmal gab es weiterhin Ausflüge, die er sehr genoss und er war stolz, dass er es war, der Marion zu einigen Events begleiten durfte. Sehr ordentlich benahm er sich immer und achtete darauf, dass er stets in der Nähe seiner Pflegemama blieb. Weglaufen? Also auf so eine Idee wäre Udo nie gekommen!

Kurz vor Weihnachten geschah etwas Aufregendes. Udo und seine Freunde – ja, er hatte sich inzwischen wirklich angefreundet mit seinen Artgenossen auf der Weide! – wurden von Marion und Ronja zu einem Spaziergang abgeholt. Sie wanderten einträchtig durch ein paar Straßen und kamen schließlich zu einem altehrwürdigen Gebäude mit einem hohen Turm. Auf der freien Wiese davor war eine wunderschöne Krippe vorbereitet, vollgefüllt mit leckerem Heu. Und frisches Gras war zur Genüge noch auf dem Rasen. Das war ein Platz zum Wohlfühlen!

Das dachten anscheinend auch die vielen Leute, die sich nach und nach hier einfanden und Udo und seinen Freunden zuschauten. Doch von denen ließ er sich nicht stören. Nur wenn Marion oder Ronja kamen, rannte er gleich zu ihnen und genoss es, sie wieder in seiner Nähe zu haben.

Am Abend leuchtete warmes Licht durch die bunten Fenster des Gebäudes und Udo legte sich hin und genoss diese besondere Atmosphäre. Toll, dass man als Schaf so etwas erleben durfte.

Zwei Tage später passierte wieder etwas Besonderes. Ein paar junge Männer kamen auf die Wiese und brachten Holzlatten mit. Diese bauten sie zusammen zu einer bescheidenen Holzhütte. Ja, die war wirklich bescheiden, nicht einmal eine Tür bekam sie! Dann schleppten sie eine zweite, winzig kleine Krippe an, in der nur ein bisschen ungenießbares Stroh war, wie Udo feststellte, als er den Inhalt beschnupperte.

In diese Krippe legte einer ein Baby, während die anderen gemeinsam zwei Personen anschleppten. Die Frau war wahrscheinlich die Mutter, sie kniete mit gefalteten Händen neben der Minikrippe und schaute zum Himmel hinauf, der Mann stützte sich schwer auf einen Stock und blickte ernst auf das Kind.

Udo beobachtete alles aus der Ferne, bis die jungen Männer mit ihrer Arbeit fertig waren. Nun aber wurde er neugierig und ging Schritt für Schritt vorsichtig näher. Schließlich stand er neben der Krippe und beobachtete neugierig das Baby. Es war fast nackt, nur ein weißes Tuch lag über seinem Bauch. Udo stupste es mit der Schnauze an. Meine Güte, das Baby war eiskalt, das musste doch frieren! Erregt stupste Udo den Mann an. Doch der rührte sich nicht.

Nun versuchte Udo es bei der Mutter, die reagierte aber genauso wenig. Stattdessen starrte sie nur weiter in den Himmel. Was waren das nur für Eltern? Also wenn Marion damals so mit ihm umgegangen wäre, er wäre bestimmt nicht so ein stolzer Schafbock geworden.

Nun gut, wenn die Eltern nicht wussten, wie sie das Baby zu behandeln hatten, dann musste eben er dafür sorgen, dass der arme Tropf nicht mehr so sehr frieren musste. Er hatte auch schon eine Idee. Er rannte zurück zu der gutgefüllten Krippe, an der sich einige seiner Schafsfreunde noch labten, und zog einen großen Happen frisches Heu heraus. Aber er fraß es nicht, sondern trug es zu dem Baby. Behutsam breitete er es über dem Kindchen aus, aber es deckte nur spärlich. Er musste eine weitere Portion holen. Also machte er sich erneut auf den Weg.

Inzwischen waren die anderen Schafe auf seine Aktion aufmerksam geworden und kamen angelaufen, um zu sehen, was er da so tat. Allerdings hatten nicht alle Verständnis, eines fing sogar an, sich von dem Zudeckheu wieder etwas herauszuzupfen und zu mampfen. Wütend stampfte Udo mit seinem Vorderbein auf. „Lass das hier liegen!“ blökte er böse. „Wenn du fressen willst, ist genug da hinten!“

Als Udo das Baby bis zur Nasenspitze mit Heu bedeckt hatte, legte er sich zufrieden neben die Krippe. Jetzt hatte das Kindchen es schön warm und er konnte beruhigt schlafen.

So fand Marion ihn am nächsten Morgen. Er erhob sich, als sie sich näherte und lief ihr wie immer aufgeregt entgegen. Als sie die Situation erfasste, kraulte sie ihn gerührt am Nacken. „Du bist schon etwas Besonderes, Udo“ meinte sie lächelnd und er rieb den Kopf an ihrem Arm, weil er spürte, dass er ihr eine schöne Überraschung hatte machen können. Da kam gerade der Pfarrer vorbei und gesellte sich zu den beiden. Auch er war beeindruckt.

„Wenn das kein Weihnachtswunder ist“ rief er aus. „Da zeigt so ein Tier, dass jeder etwas Gutes tun kann – man muss es nur sehen!“

Ganz bestimmt hat Udo sich einen Platz im Himmel verdient. Aber nach Weihnachten darf er erst einmal umziehen auf die Jugendfarm Waiblingen – und das ist zumindest schon ein Tierparadies!